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Wie oft sprechen wir im Alltag davon, dass etwas "normal" sei - ein bestimmtes Verhalten, eine Erscheinung oder sogar ein Produkt. Aber wer hat diese Normalität eigentlich definiert? Die Natur? Würden wir unsere Maßstäbe von Normalität tatsächlich danach richten, wie unsere Vorfahren vor mehreren tausend Jahren gelebt haben, wäre ein zivilisiertes Miteinander ohne Gewalt, Raub und Totschlag nicht vorstellbar. Oder was ist bitteschön ist natürlich an einem Pumpkin Cream Iced Shaken Espresso? Ist Zivilisation nicht viel mehr das Gegenteil von Natur? Eine menschliche Setzung, um dem Chaos Einhalt zu gebieten und unser Zusammenleben zu ordnen. "Normal" scheint weniger auf natürlichen Vorgaben zu beruhen, als auf gesellschaftlichen Konventionen und tradierten Werten. Wenn aber z.B. eine Idee wie das Erbrecht keine natürliche Zwangsläufigkeit oder göttliche Weisung, sondern vielmehr nur eine menschliche Setzung ist, könnten wir sie dann nicht einfach auch abschaffen, wenn sie sich als schlecht für den größeren Teil der Menschheit herausstellt?

Der Gedanke, dass wir Menschen selbst unseres Glückes Schmied sind und unser Schicksal in den eigenen Händen halten, birgt einige Sprengkraft. Gesellschaftliche Normen sorgen nicht nur dafür, dass alles so bleibt, wie es ist oder wie es angeblich immer war - sie sorgen auch dafür, dass diejenigen oben bleiben, die schon immer oben waren. Selten begegnet uns im Theater eine Stimme, die unsere Begriffe von "Normalität" und "Natürlichkeit" stärker in Zweifel zu ziehen vermag, als Joe Orton. In seinen Stücken führt er vor, wie erschreckend oberflächlich und dreist sich scheinbar ewige Werte und Normen definieren und auslegen lassen und wie dehnbar die Wahrheit doch sein kann, wenn sie es sein muss. Orton zeigt uns, dass Gesellschaft und Zivilisation willkürliche menschliche Erfindungen sind - und er zeigt uns auch die Lunte mit der sie sich notfalls in die Luft jagen lassen. Das Schlachtfeld, das er hierfür wählt ist die Sexualität: hier entlarven sich seine heteronormative Bürger-Kreaturen durch die eigenen Triebe selbst. Dass sein Grundgedanke aber auch um einige Hausnummern größer gedacht werden kann, das macht Joe Orton und sein Werk um einiges reicher und gefährlicher, als die typische sex comedy, als die uns What the butler saw auf den ersten Blick erscheint.

Mit: Jörg Zirnstein, Aleksandra Kienitz, Gabriele Drechsel, Sebastian Schulze, Florian Donath, Hubert Schlemmer

Regie: Andreas Merz

Ausstattung: Veronika Bleffert und Sonja Füsti

Dramaturgie: Marlon Tarnow

Fotos: Sinah Osner

What the Butler saw, Orton

Staatstheater Damstadt, Darmstadt, Deutschland

"Es gibt hier keine privilegierte Klasse. Der Wahnsinn ist demokratisch und nach diesem System behandeln wir auch."

Joe Ortons Werk ist untrennbar mit seiner Biografie verbunden. Als junger schwuler Mann im England der 60er Jahre war er tagtäglich mit einer Gesellschaft konfrontiert, in der Homosexualität als Geisteskrankheit galt. Und so versteht sich sein Werk auch als fundamentale Kampfansage an eben jene heteronormative Welt, die alle Abweichungen von ihren scheinbar unverrückbaren Normen als krankhaft, pervers und kriminell aburteilt und bestraft: Wenn Ihr sagt, ich sei pervers, dann seid Ihr es mindestens genau so!

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